1. Wie schätzen Sie die Situation von deutschen Industrieunternehmen ein?
Zurzeit gibt es ein wachsendes Problem auf der Nachfrageseite. Viele Absatzmärkte befinden sich derzeit in einer tiefen Krise. Sei es durch technologische Disruption, einen konjunkturellen Nachfrageeinbruch, die derzeitige Krisensituation oder eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. In der deutschen Wirtschaft hängt viel am Automobil. In der deutschen Wirtschaft hängt viel am Automobil. Die Zulieferkette besteht aus einer Verkettung an Stahlherstellern, Formen-, Maschinen-und Anlagenbauern als auch der chemischen, elektrotechnischen und Halbleiterindustrie. Ein Nachfragerückgang bei einem OEM von 5% kann eine Schockwelle durch die gesamte Lieferkette senden und weiter hinten Nachfrageschwankungen von bis 50% auslösen. Man kann sich vorstellen, was das für einen Effekt hat. Verstärkt wird dies dadurch, dass bei den Zulieferern viele weiteren Industrien betroffen sind. Neben dem weltweiten Nachfrageeinbruch hat sich auch der internationale Wettbewerb sehr verschärft. Nehmen wir das Beispiel alternative Energien und hier das Thema Windkraft: Deutschland hat eine ansehnliche Windkraftindustrie aufgebaut und jetzt durch die neuen Regulierungen entsteht kein Zubau mehr. Das zerstört diesen Industriezweig wie zuvor die Solarenergie. Der Nachfrageeinbruch führt zu einem enormen Anpassungsdruck auf die Hersteller und zu einem Überlebenskampf für die Unternehmen.
2. Was sind die größten Schwierigkeiten für Unternehmensführungen in deutschen Industrieunternehmen?
Erstens eine wettbewerbsfähige Kostenstruktur zu entwickeln und zweitens eine Nachfrage zu erzeugen mit einem Produkt, das ein oder mehrere Alleinstellungsmerkmale aufweist. Auf der Kostenseite entsteht gerade ein enormer Druck, erst recht durch den derzeitigen Nachfrageeinbruch. Wir hatten zehn Jahre Wirtschaftswachstum in Deutschland. Unternehmen gönnten sich Projekte und Initiativen, die sie sich in knappen Jahren nicht gegönnt hätten. In Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs setzen viele Unternehmen auf Wachstumsstrategien, das heißt man identifiziert neue Marktsegmente und schaut, wie diese besser abgedeckt werden können. Das führt zwar in vielen Fällen zu Wachstum, aber auch zu komplexeren Produkt- und Organisationsstrukturen sowie Prozessen. Die Anzahl der Prozessbeteiligten steigt exponentiell. Damit werden Prozesse langsam und kompliziert. Wo man eigentlich Schnellboote haben müsste, um kurzfristig auf sich verändernde Situationen zu reagieren und international wettbewerbsfähig zu sein, entstehen behäbige Dampfer.
3. Komplexe Unternehmensstrukturen und Krisenzeit – was tun?
Es gibt zusammenfassend drei wichtige kostenrelevante Bereiche: Komplexitätskosten in der Organisation, der Wertschöpfungskette und im Overhead, Herstellungskosten im Wesentlichen bestimmt durch die kostengerechte Produktgestaltung und Lohnkostendifferentiale bestimmt durch den Footprint. Deutsche Unternehmen haben derzeit stark fragmentierte Lieferketten. Komplexität muss in Zeiten wirtschaftlichen Rückgangs reduziert werden. Im Produktdesign gibt es weiterhin ungenutzte Potenziale. Herstellkostengerechtes Produktdesign bringt oft mehr als die Verlagerung in eines der sogenannten Best-Cost-Countries. Und zuletzt: ein weiteres wichtiges Thema ist Resilienz - wie anfällig sind meine Wertschöpfungsstrukturen? Die Fertigung an einem einzigen Standort muss hinterfragt werden, um eine höhere Robustheit in Wertschöpfungsketten zu erzielen. Für uns bei A&M steht die Wettbewerbsfähigkeit unserer Kunden im Fokus. Wir schauen uns Produktportfolios, Unternehmensstrukturen, Fertigung, Herstellung, Lieferketten im Detail an und hinterfragen jeden einzelnen Punkt. Basierend auf diesen tiefen Einblicken treffen wir dann wichtige Entscheidungen – da kann es sein, dass zugunsten reduzierter Komplexität bestimmte Produktionen abgeschaltet werden und man Strukturen wieder einfacher und transparenter aufsetzt.